2. Deutscher Arbeitsrechtstag in Berlin – Entgrenzte Arbeitswelt –

Rechtsanwalt Stephan nahm als einer von etwa 300 Experten an dem 2. Deutschen Arbeitsrechtstag teil, der vom 27. bis 29. Januar 2016 in Berlin stattfand. Vertreter aus Wissenschaft, Politik, Arbeitsgerichtsbarkeit, Rechtsanwaltschaft, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden diskutierten die Probleme, die sich aus der Digitalisierung ergeben und – unabhängig von dem Schlagwort der Industrie 4.0 – schon längst in die Arbeitswelt Eingang gefunden haben.

Das Home Office, die Möglichkeit auch außerhalb des Betriebes über Laptop, Tablet oder Smartphone zu arbeiten und vor allem auch außerhalb jeglicher üblichen Dienstzeit erreichbar zu sein, gehören längst zum Berufsalltag vieler Beschäftigten. Die gelebte Realität in der Arbeitswelt führt zu erheblichen Konflikten im Arbeitsschutz, am augenfälligsten zum Arbeitszeitgesetz. Dieses sieht zum Beispiel vor, dass der Arbeitnehmer nach Beendigung seiner Tätigkeit eine ununterbrochene Ruhepause von 11 Stunden bis zur Wiederaufnahme der Tätigkeit hat. Dies schließt aber aus, dass der Arbeitnehmer noch abends Mails seines Vorgesetzten erhält, liest und möglicherweise auch noch beantwortet. Unzulässig nach diesem Gesetz ist es ebenso, dass ein Arbeitnehmer zuhause noch einige Stunden arbeitet, wenn dadurch die Mindestruhezeit von 11 Stunden nicht mehr bis zur Wideraufnahme der Tätigkeit am nächsten Tag gewährleistet ist.

 

Nicht nur Unternehmen hätten gerne eine weitere Flexibilisierung. Auch viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer würden es vorziehen, den eigenen Arbeitstag aufsplitten zu können. So ist nicht selten, dass der Ehepartner, der die Kinder versorgt, einen Teil der Arbeitsleistung morgens erbringt, wenn die Kinder im Kindergarten sind, sich nachmittags für die Kinder frei nimmt und dann die restliche Arbeitszeit erbringt, wenn die Kinder zu Bett gebracht wurden. Arbeitstechnisch ist eine derartige Aufteilung in vielen Fällen ohne weiteres möglich, gesetzlich aber leider verboten, weil die Mindestruhezeit von 11 Stunden nicht eingehalten werden kann.

 

Eine Flexibilisierung von den Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes ist über Tarifverträge möglich. Deren Geltung setzt aber voraus, dass die Tarifverträge auch für das jeweilige Arbeitsverhältnis Wirkung entfalten, was in den meisten Fällen eine Verbandszugehörigkeit der Unternehmen und eine Gewerkschaftszugehörigkeit der Arbeitnehmer voraussetzt.  Bei dem nach wie vor außergewöhnlich niedrigen Organisationsgrad der Arbeitnehmer in Deutschland ist dies eine eher theoretische Möglichkeit.

 

Das Arbeitszeitgesetz ist ein Schutzgesetz für den Arbeitnehmer und deshalb unverzichtbar im Rahmen einer individuellen Vertragsvereinbarung. Es ist Bestandteil des Gesundheitsschutzes, der ein wichtiger Gesichtspunkt in der Arbeitswelt ist. Wird nämlich der Arbeitnehmer aufgrund einer Überbeanspruchung im Arbeitsverhältnis krank oder möglicherweise sogar vorzeitig erwerbsunfähig fallen die damit verbundenen Kosten den Sozialsystemen zur Last. Unabhängig von dem individuellen Schutz des Arbeitnehmers ist der Gesundheitsschutz deswegen auch eine Frage des Gemeinwohls.

 

Die Digitalisierung der Arbeitswelt und die Internationalisierung bringen in der Realität erhebliche Probleme mit sich, weil international aufgestellte Unternehmen auch mit Arbeitnehmern aus Staaten zusammenarbeiten, in denen es an entsprechenden Schutzvorschriften fehlt. Ein Teilnehmer wusste zu berichten, dass ein Unternehmen international Arbeitsteams zusammenstellt und über einen Messenger, vergleichbar mit dem Facebook System, verbindet, so dass alle Teammitglieder über den gesamten Tag ständig Nachrichten erhalten, wenn ein Mitglied eine Nachricht absetzt. Erwartet wird dann natürlich in der Konsequenz, dass diese Nachrichten auch umgehend bearbeitet oder zumindest kommentiert werden. Geschieht das nicht, besteht die Möglichkeit, den säumigen Mitarbeiter in dem Messenger mit abwertenden Zeichen zu kennzeichnen. Bei derartigen Auswüchsen zeigen sich die Unternehmen, sofern sie diese nicht ausdrücklich fördern, offensichtlich hilflos. Zumindest wurden im Rahmen der Diskussion von Unternehmensseite keine Ansätze aufgezeigt, wie man dabei zu einer menschengerechten und gesetzestreuen Behandlung zurückfinden könnte. Stattdessen wurde mehr oder weniger offen eingeräumt, dass 30-40 % der Unternehmen bestimmte Schutzvorschriften schlicht missachten. Es kann indessen keine Lösung sein, den Arbeitstakt, die Arbeitszeit und Geschwindigkeit alleine von technischen Möglichkeiten bestimmen zu lassen. Diese Erkenntnis müsste international zu vermitteln sein, denn die damit verbundenen Probleme für die Arbeitnehmer sind nicht nur eine europäische Erscheinung sondern treten auch jenseits des Atlantiks auf.

 

Kritik ist auch am Verhalten der Gewerkschaften angebracht, denn auch dort fehlt es an jeder Kreativität, die Probleme anzufassen. Stattdessen wurde stereotyp die Auffassung vertreten, dass die gegenwärtige Gesetzeslage in Ordnung sei und keiner Veränderung bedürfe. Diese reichlich provinzielle Haltung grenzt an Realitätsverweigerung und ist vielleicht auch Schlüssel zur Antwort auf die Frage, warum der Organisationsgrad der Gewerkschaften so gering ist.

 

Die gegenseitige Blockade der Verbände und der Gewerkschaften erinnert an die Situation, dass von beiden Seiten seit etlichen Jahren verhindert wird, dass die für einen Arbeitnehmer in unzähligen Gesetzen verstreute Gesetzeslage in einem Arbeitsgesetzbuch übersichtlich zusammengefasst werden. Ein solcher Entwurf liegt schon seit Jahren vor, erarbeitet durch renommierte Rechtswissenschaftler wie Professor Ulrich Preis von der Universität zu Köln.

 

Impulse aus der Politik fehlen gegenwärtig völlig. Stattdessen beschäftigt man sich mit populistischen Gesetzesvorhaben. Ebenso wenig wie ihre Vorgänger hat es die gegenwärtige Arbeitsministerin fertig gebracht,  die Vorschriften zur Kündigungsfrist in § 622 BGB und zur Massenentlassungsanzeige in § 17 KSchG an die durch die europäische Rechtsprechung vorgegebene Rechtslage anzupassen. Der Bürger, der nicht mit den Entscheidungen des europäischen Gerichtshofs vertraut ist, kann den Texten des Bürgerlichen Gesetzbuches und des Kündigungsschutzgesetzes nur eine völlig unzutreffende Rechtslage entnehmen. Es ist wichtiger, Klientelpolitik zu betreiben als allen betroffenen Bürgern ein ordentliches Gesetz an die Hand zu geben.

 

Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts sagte dazu schon vor längerer Zeit sinngemäß: Es wäre schön, wenn der Bürger beim Blick in das Gesetz wenigstens die Rechtslage nachlesen könnte.

 

Als Fazit des 2. Deutschen Arbeitsgerichtstages halte ich fest, dass Probleme zwar mittlerweile erkannt sind, dass Lösungsmöglichkeiten aber aufgrund der gegenseitigen Blockade der Unternehmer-und Arbeitnehmerverbände nicht erkennbar sind.