Europäischer Gerichtshof verlangt Arbeitszeiterfassung

Am 14.5.2019 hat der europäische Gerichtshof entschieden, dass die Mitgliedsstaaten Regelungen zur Erfassung der Arbeitszeit erlassen müssen.

Welche Bedeutung hat diese Entscheidung für deutsche Arbeitnehmer?

Das Urteil ist von den Gewerkschaften freudig begrüßt und gefeiert worden als Meilenstein, insbesondere als Möglichkeit, unkontrollierte Mehrarbeit zu unterbinden.

Zunächst ist festzustellen, dass diese Entscheidung noch keine unmittelbar bindende Wirkung hat, der deutsche Gesetzgeber wird allerdings das für deutsche Arbeitsverhältnisse geltende Arbeitszeitgesetz kurzfristig mit einer entsprechenden verpflichtenden Regelung zur Arbeitszeiterfassung ausstatten müssen. Dies wird noch in dieser Legislaturperiode geschehen, denn die Entscheidung wird von Arbeitnehmerseite begrüßt und das Arbeitsministerium ist mit einem sozialdemokratischen Minister versehen, der die Gelegenheit nutzen kann, etwas für Arbeitnehmerrechte zu tun.

Wie ist die Haltung der Arbeitgeberverbände zur Entscheidung?

Die Wirtschaft sieht die Entscheidung kritisch. Dabei betreffen diese Kritikpunkte aber zum Teil nicht direkt die Frage der reinen Erfassung der Arbeitszeit sondern vielmehr Problematiken, die auch bei schon jetzt geltender Gesetzeslage infolge der internationalen Zusammenarbeit auftreten. Die modernen Telekommunikationsmedien eröffnen die Möglichkeit, letztlich jeden Arbeitnehmer 24 Stunden am Tage zu erreichen. Dieser Versuchung können viele Unternehmen nicht widerstehen und berufen sich darauf, dass die internationale Zusammenarbeit mit Staaten, die in anderen Zeitzonen arbeiten, dies verlange. Dies ist allerdings nur sehr bedingt richtig, denn internationale Zusammenarbeit und internationalen Handel hat es auch in Zeiten vor dem Internet gegeben. So hat mir ein Kaufmann, der zeitlebens für ein großes deutsches Unternehmen Stahlhandel mit den USA betrieben hat, erklärt, dass man die Zeitverschiebung ohne Probleme durch eine entsprechende gegenseitige Rücksichtnahme habe kompensieren können. Der Geschäftspartner in den USA, der mit einer Zeitverschiebung von -6 Stunden gegenüber der Deutschen Zeit gearbeitet hat, war während seiner normalen Bürozeiten für den deutschen Stahlhändler ab dem frühen Nachmittag erreichbar und es bestand hinreichend Gelegenheit, die Geschäfte in diesem Zeitfenster abzuwickeln. Auch wenn die theoretische Möglichkeit besteht, Arbeitnehmer nach deren regulärer Arbeitszeit zu erreichen, sollte man sich ernsthaft Gedanken darüber machen, ob dies tatsächlich erforderlich ist.

Es ist aber nach wie vor auch leider üblich, dass in Unternehmen Arbeitnehmer auch außerhalb ihrer normalen Arbeitszeit mit Emails angesprochen werden, wobei in der Regel auch eine umgehende Antwort erwartet wird. Diese Unsitte hat z.B. dazu geführt, dass Frankreich dazu ein gesetzliches Verbot erlassen hat. Ich habe dazu schon im Januar 2017 berichtet.

Ein weiteres Problem, das gegenwärtig  besteht ist die gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeit von 11 Stunden die zwischen Arbeitszeitende und Arbeitszeitbeginn gewährleistet sein muss. Diese Ruhezeit kann häufig nicht eingehalten werden, wenn der Arbeitnehmer in einem so genannten Home Office arbeite. Das Home Office gibt dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, seine Arbeitszeit selbst zu flexibilisieren. So kann z.B. ein Arbeitnehmer, der Kinder zu versorgen hat, morgens 5 Stunden arbeiten und nachmittags die Kinder betreuen. Abends kann er gegebenenfalls, wenn die Kinder schlafen, dann die restlichen drei Arbeitsstunden abarbeiten. Dabei wird er aber zwangsläufig in der Arbeitszeiteinteilung keine Ruhezeit von 11 Stunden mehr einhalten können. Diese Arbeitsweise ist schon nach der geltenden gesetzlichen Regelung deshalb im Grunde unzulässig. Sie ist gleichwohl durchgängige Praxis, würde aber zum offenliegenden Problem, wenn die Arbeitszeit transparent und korrekt erfasst würde.

Die Ruhezeit von 11 Stunden ist nicht nur im deutschen Recht vorgesehen sondern auch Bestandteil der entsprechenden EU Richtlinie 2003/88. Solange diese Richtlinie unverändert besteht, hat auch der deutsche Gesetzgeber keine Möglichkeit, eine größere Flexibilisierung zu ermöglichen.

Möglicherweise ist dies auf der Ebene der Europäischen Union durch eine Anpassung der Richtlinie möglich, denn das Home Office eröffnet neben der für den Arbeitnehmer positiven Flexibilisierung der Arbeitszeit auch den Vorteil, dass der Arbeitnehmer nicht mehr am Berufsverkehr teilnimmt und von daher das Verkehrsaufkommen entlastet. Dies ist aus Umweltgesichtspunkten positiv, wenngleich das Home Office auch Risiken und Nachteile mit sich bringt. Dazu habe ich bereits im September 2016 Stellung genommen.

Einige Unternehmen mögen auch die Zeiterfassung fürchten, weil dann für den Arbeitnehmer beweissicher festgestellt wird, in welchem Umfange er arbeitet. In vielen Unternehmen gibt es das ungeschriebene Gesetz, dass die vertragliche Arbeitszeit regelmäßig überschritten wird. Für den Arbeitnehmer ist es ausgesprochen schwierig, Ansprüche auf Vergütung der Mehrarbeit  durchzusetzen, denn ihm obliegt im Streitfalle die volle Beweislast dafür, dass die behaupteten Stunden tatsächlich abgeleistet und dass diese Mehrarbeit auch vom Arbeitgeber angeordnet war.

Wie die Kontrolle erfolgen kann, dass die Arbeitszeiterfassung korrekt erfolgt, ist ein weiteres Problem. Schon jetzt gibt es bei vielen Unternehmen, die mit ihrem Betriebsrat ein Arbeitszeitkonto mit bestimmten Grenzen Stunden vereinbart haben, die Praxis, dass Arbeitnehmer nach Erreichen der maximalen Stundenzahl gehalten sind, die Zeiterfassung zu beenden und anschließend an ihren Arbeitsplatz zurückkehren.

Die Entscheidung des europäischen Gerichtshofs kann als guter Ansatz gesehen werden, sie löst aber sicherlich nicht wirklich die bisher bestehenden Probleme.